BERICHT VOM 17.09.2013

Banange!

(Meine Freunde) Während ich dies schreibe, sitze ich in unserem Vorzimmer mit ein paar von den Mädchen, mit denen ich hier im Transitory-Home zusammen wohne. Es ist Abend, wir, Alisa (meine Mitfreiwillige, die voraussichtlich ein halbes Jahr hier bleibt) und ich, haben wie üblich zu zweit gegessen und nach ihrem täglichen Abendgebet kamen unsere neuen Freunde zu uns herüber, um zu reden, spielen, Musik zu hören, Briefe zu schreiben...

Wie ihr seht, bin ich gut hier angekommen! Ich hatte einen, bis auf ein paar überraschende Turbulenzen über dem Kongo und einem zwar geplanten, aber für mich ungeahnten Zwischenstopp in Kigali, Ruanda, angenehmen, ereignislosen Hinflug. Als wir so gegen 22h in Entebbe, dem nahe der Hauptstadt Kampala gelegenen Flughafen, landeten, war ich total müde. Ben, mein Betreuer, holte mich ab und ich schnupperte in dieser Nacht zum ersten Mal die laue, lebendige Luft Ugandas.

Am nächsten Morgen begann die eindrucksvollste, aufregendste Autofahrt meines Lebens. Etwa vier Stunden brauchten wir von Entebbe nach Masaka, meiner neuen Heimat. Das lag weniger an der Entfernung, denn es sind nur etwa 140km, sondern vielmehr an den Straßen und dem Verkehr. Ich war während dieser Fahrt kaum in der Lage, mich mit Ben zu unterhalten, viel zu eingenommen war ich von all den neuen Eindrücken! Alles, einfach alles war anders.

Man hat das Gefühl, alles Leben spielt sich hier draußen und auf der Straße ab. Da wird gekocht, gewaschen, Möbel gezimmert (alles von Betten über Türen bis hin zu Särgen), verkauft, gehandelt, gespielt, sich unterhalten, zwischen arbeitenden Menschen, Kindern und Passanten laufen Hühner, Ziegen und Kühe mit langen Hörnern oft frei herum, überall fahren vollbeladene Boda Bodas und metallene Fahrräder.

Die Bodas sind hier das Hauptverkehrsmittel. Es sind so eine Art große Mofas mit langen Sitzen und werden wie Taxen benutzt. Man braucht nie lange zu warten, selbst auf den abgelegensten Landstraßen kommen oftmals Bodas vorbei. Und auf ihnen wird wirklich alles transportiert: bis zu vier Menschen plus Kinder, Möbel, Säcke, Bananen, tote Hühner, Ziegen und Kuhflanken, Holz, sperrige Kisten, Zuckerrohr...

Das Transitory-Home liegt, wie gesagt, in der etwa 75000 Einwohner zählenden Stadt Masaka. Aber diese Stadt darf man sich nicht so vorstellen, wie eine deutsche Stadt mit ähnlicher Größe. Vielmehr fasst sie mehrere weitläufige Stadtteile zusammen, die wiederum wie sehr ländliche Dörfer erscheinen. Wir sind hier im Stadtteil Kitovu und man hat das Gefühl, mitten auf dem Land zu sein.

Überhaupt ist es wunderschön hier! Ich bin ganz überwältigt von der beeindruckenden Landschaft Ugandas, überall Natur, weitläufige Hügel, rote Erde, rot-braune Straßen, so viel grün, blauer Himmel, Bananenstauden, die von keinem Grundstück, von keinem Feld, aus keinem Dorf wegzudenken wären, das alles getaucht in warmes Sonnenlicht. Ich kann mich einfach nicht daran sattsehen, hinter jeder Biegung, hinter jedem Hügel tun sich neue wunderschöne Einblicke in die Landschaft auf.

Im Transitory wohnen zur Zeit 61 Mädchen zwischen 16 und 19 Jahren. Es ist ein Internat und einige von ihnen sind auch Waisen (aber ich hab noch nicht so ganz durchschaut, wie und warum sie hierher kommen). Sie haben ziemlich viel praktischen Unterricht wie Nähen, Handarbeiten, Landwirtschaft, Kochen, Hauswirtschaft, Musik und Tanzen, aber auch Mathe, Englisch, Luganda und Religion. Für die Mädchen beginnt der Tag zwischen fünf und halb sechs (wenn wir zum Glück noch friedlich schlafen dürfen) mit einem halbstündigen Gebet. Dann stehen erst mal Waschen, Putzen und Frühstück zubereiten auf dem Plan, bevor der Unterricht beginnt.

Das Transitory ist auch Teil der Caritas MADDO (Masaka Diocesan Development Organisation). Ich hab diese Organisation noch nicht so ganz durchschaut, ich kann aber so viel sagen, dass sie katholisch, ziemlich groß und vielumfassend ist – sie kümmert sich eigentlich um jeglichen sozialen Bereich. Es gibt dort verschiedene Abteilungen: das Health department, Water and Sanitation department, Agriculture department, Education department und das Welfare department. Irgendwie damit verbunden ist auch das YCWM (Young Catholic Worker Movement), bei dem auch Ben arbeitet. Hierein oder in das Welfare dept. fallen auch (wenn ich es richtig verstanden habe) das Transitory, unsere Nachbarschule St. Anne und der nahegelegene St. Adrians Kindergarten.

Wo genau ich arbeiten werde, wo mein Platz in dieser Organisation, in dieser Gesellschaft sein wird, weiß ich noch nicht. Aber ich hab hier in den letzten beiden Wochen schon so viel erlebt!

Gleich am ersten Wochenende wurden wir mit auf eine Priester-Jubiläumsfeier genommen. Wie sich herausstellte, handelte es sich dabei um eine mindestens vierstündige Messe im Freien. Da das ugandische Volk eine, wie sie selber sagen, „oral-society“ ist, musste jeder der geladenen (geistlichen) Gäste die Gelegenheit erhalten, seinen Dank und seine guten Wünsche zu äußern. Fast alle sprachen auf Luganda, sodass wir kaum etwas verstanden. Eine ziemlich faszinierende, aber komplizierte Sprache! Naja, ein paar Brocken kann ich immerhin schon.

Am Wochenanfang war ich dann erst mal krank. Ich weiß nicht, was es war, vielleicht eine allgemeine Essensumstellung, vielleicht das Leitungswasser (das ich bis dahin aber nur zum Zähneputzen benutzt habe), vielleicht irgendein Infekt – auf jeden Fall hatte ich zwei Tage lang Magenprobleme. Es wurde allerdings recht schnell besser und seit dem geht es mir gut! Und im Nachhinein komme ich mir richtig wehleidig vor, wenn ich mitbekomme, wie viele Menschen hier oft krank zur Arbeit kommen oder ganz normal am Alltag teilhaben, obwohl sie eigentlich ins Bett gehörten.

Als ich wieder gesund war, gingen wir den Rest der ersten Woche ein paar Mal mit Tine mit zu ihrer Arbeit. Tine ist eine Soziale-Arbeit-Studentin aus Freiburg, die hier bis jetzt gerade ihr Auslandspraxissemester gemacht hat. Sie nahm uns zum Beispiel mit zu einer Uni, wo sie deutsch unterrichtete. Uni – das war kein großes, zentrales Gebäude voller Menschen, sondern ein ganz normales Haus auf dem Land. Ein anderes Mal gingen wir mit ihr zu Kitovu Mobile, ein Gesundheitszentrum, von dem aus Ärzte auch oft auf die Dörfer fahren, um die Menschen, oft AIDS-Patienten, zu behandeln.

Außerdem haben wir hier im Transitory an ein paar Unterrichtstunden teilgenommen. Dass ich die Kochstunden besucht habe, wird euch sicher nicht sehr verwundern. Aber ich war auch beim Nähunterricht – und es hat richtig Spaß gemacht! In der Stadt (Masaka Town) haben wir uns wunderschöne Stoffe gekauft und daraus schon zwei Taschen genäht. Gut, es war natürlich mit viel Hilfe von der sehr netten Nählehrerin und unserer Freundin Imelda, aber ich bin trotzdem echt stolz auf mich! Auch mit dem Koch- (bzw. Back-)lehrer Joseph haben wir uns angefreundet. Neben dem Unterrichten betreibt er ein Cake Center in Nyendo, dem nächsten Stadtteil hier. Wir werden bald mal einen Backtag einlegen und uns gegenseitig ugandische und deutsche Rezepte beibringen!

Das Essen schmeckt mir eigentlich echt lecker. Meistens kochen die Mädchen für uns, das lassen sie sich auch kaum nehmen, nur ein paar Mal haben wir es geschafft, selber kochen oder wenigsten mithelfen zu dürfen. Sie machen es mit so viel Liebe, so sorgfältig und es scheint ihnen wirklich Freude zu bereiten! Nur die Mengen haben sie noch nicht so ganz raus, für uns zwei kochen sie fast immer wie für vier. Ich vermute, dass das hauptsächlich daran liegt, dass alle hier selber solche unglaublichen Portionen essen! Überhaupt ist ihr Essen hier sehr kohlehydrathaltig: Matoke (Kochbananen), Reis, Posho (Maisbrei), rote Bohnen, Kartoffeln, Erdnusssoße, Ei, Chapati (leckere, pfannkuchenähnliche Fladen)... Und davon essen sie wahre Berge! Das Essen, das wir hier bekommen, ist wesentlich reichhaltiger, aber alles Produkte, die es hier lokal auch gibt (außer die Nudeln, die kommen aus dem Supermarkt): Tomaten, grüne Bohnen, Kartoffeln, Reis, Aubergine, Zwiebeln, Paprika, Kürbis, Krautsalat, Ei in unterschiedlichsten Variationen, Wassermelone, Ananas, Papaya, Zuckerrohr, Bananen, Erdnüsse. Und es schmeckt eigentlich echt ziemlich lecker!

Nach einer Woche hatten wir dann eine Art Orientierungstag bei MADDO und dem YCWM mit Ben und dessen Assistentin Ciccy. Wir beschlossen, erst mal in ein paar Einführungswochen in alle Abteilungen und Bildungseinrichtungen hineinzuschnuppern und uns dann zu entscheiden, wo wir arbeiten wollen. Diese Woche gingen wir so einen Tag mit zu Welfare, einen zu Agriculture und einen Nachmittag zu Water, blieben, wie gesagt, für ein paar Stunden hier im Transitory, halfen Ciccy ein bisschen bei der Büroarbeit und besuchten MADDO Diaries, eine Milch und Joghurt-Fabrik. Die Exkursionen mit Welfare, Agriculture und  Water führten uns jeweils durch die wunderschöne Landschaft in abgelegene Dörfer. Dort hielten die zuständigen Mitarbeiter Schulungen, einmal war es eine Art Businesstraining für junge Menschen, die ihre Ausbildung abgeschlossen hatten und sich nun selbstständig machen wollen, einmal war es eine Einführung für neu gegründete Gemeinschaften von Kaffeebauern und bei Water dann eine Besprechung mit der Dorfgemeinschaft über den Umgang mit dem neuen Brunnen und der allgemeinen Hygiene. Obwohl es alles in Luganda war und wir demnach kaum etwas verstanden, war es sehr interessant, das einmal mitzuerleben (schließlich bekamen wir auch einiges übersetzt)! Besonders beeindruckt hat mich auf den Fahrten – ich kann es gar nicht oft genug betonen – die überwältigende Landschaft, aber auch die Fahrkünste der Fahrer. Insbesondere John vom Water department, der mit seinem alten Auto äußerst temperamentvoll (aber doch auch vertrauenswürdig) über jede Art von Straßen fährt. Auf dem Rückweg beispielsweise beschloss er kurzerhand, nach einer Abkürzung zu suchen. Und da wir dieses Mal wirklich mitten im Nichts waren, mitten in der Landschaft, wo die Straßen mehr wie holprige Trampelpfade aussehen, fuhr er einfach der Nase nach, voll auf seinen Orientierungssinn vertrauend. Wirklich bewundernswert, wie er ohne ein einziges Mal zu zögern zurückgefunden hat!

Letzten Sonntag war ich mit in der Messe, die schon um 7 Uhr beginnt und zwei Stunden lang geht. So eine volle, bunte Kirche habe ich noch nie gesehen! Besonders fasziniert hat mich ja, wie die Menschen schon um diese frühe Uhrzeit so lange und vor allem schön singen können! Der Glaube, besonders der christliche, aber es gibt auch einige Moscheen, die Zeugen Jehovas und andere Sekten sind ebenfalls präsent, spielt für das ganze Volk eine große Rolle, ist tief in ihnen verwurzelt und scheint ihnen Halt und Hoffnung zu geben. Zu jedem Anlass wird eine Messe veranstaltet, bei einer Renovierung, einem Jubiläum, an jedem Feiertag, bei Familienfesten...

Auch spielen die Kirche und die Diözese im Alltag der Menschen eine große Rolle. Nicht nur, dass sie (wie MADDO) für die meisten sozialen Leistungen aufkommt, auch die Geistlichen leben in viel größerer Nähe zu den Menschen. So kam es, dass ich in den zwei Wochen schon drei Mal beim Bischof zu Besuch war. Beim ersten Mal, als Jane, ein ehemaliges Transitory-Mädchen, uns ihm vorstellen wollte, war er nicht zuhause, aber wir blieben trotzdem zu Tee und Kuchen. Jane arbeitet bei ihm und wir besuchten sie zweimal. Das eine Mal kam der Bischof auch gerade heim und lud uns erst mal ein. Wir unterhielten uns in seinem Wohnzimmer eine ganze Weile sehr nett mit ihm, er erzählte uns viel von seiner Arbeit und dem Land und fragte einiges über Deutschland. Neulich wollten wir Jane nur einen kurzen Besuch abstatten, da wir gerade von MADDO kamen und das Bischofshaus quasi gegenüberliegt. Es war allerdings gerade Mittagsessenszeit und obwohl der Bischof nicht zuhause war, wurden wir zum Essen eingeladen. Wir aßen mit Father Amadeus zusammen – schon der dritte total sympathische Father, den ich hier kennenlerne. Neben dem Bischof, der ziemlich selbstironisch ist und selbst am allermeisten von allen redet, obwohl er, wie er selber erzählt, bei Messen auch gerne einmal aufsteht und spazieren geht, wenn andere ihm zulange reden, sind das Father Amadeus, Father Michael und Father Peter. Father Amadeus ist ziemlich witzig, arbeitet mit dem Bischof zusammen und nennt ihn (beiläufig und ganz liebevoll) „the big man“. Father Michael kommt uns jedes Mal stürmisch entgegen und lädt uns zu sich ein. Father Peter arbeitet bei MADDO und bei ihm passt die Beschreibung knuffig einfach total gut. Bei einer kleinen Messe im Innenhof von MADDO Diaries durchdrang plötzlich die fiepsige Melodie von „I'm a barbie girl“ das Singen der versammelten Menschen. Als Alisa und ich feststellten, dass Father Peters Handy die Quelle dieser in dem Moment so was von absurden Musik war, konnten wir uns kaum noch zusammenreißen! Aber zurück zum Bischof. Als wir gerade mit Jane beim Abwasch standen, kam der Bischof plötzlich hereinspaziert und begrüßte uns äußerst freundlich. Ziemlich verrückt, ziemlich cool!

Überhaupt ist die Gastfreundlichkeit, die Herzlichkeit, die Offenheit, die Fröhlichkeit der Menschen hier total beeindruckend! Wohin man auch schaut, lauter lachende Gesichter. Die Lebensfreude der Menschen, ihr Singen, Lachen, ihre Geselligkeit und ihre Freundlichkeit scheinen sich von keinem Schicksal, von keiner Armut unterkriegen zu lassen. Das ganze wird gegenüber Mzungus (Weißen) schon fast ins Extreme gesteigert. Wenn man durch die Stadt läuft oder selbst mitten in der Landschaft einfach nur spazieren geht, hört man von überall Kinder rufen "Bye Mzungu, bye Mzungu!" und "How are you, Mzungu?", oft, bis sie einen nicht mehr sehen können. An den drei Tagen, als wir mit aufs Land gefahren sind, sind ein paar Kinder dann ein ganzen Stück hinter uns hergelaufen, ohne uns zu nahe zu kommen, und haben uns fasziniert beobachtet. Auch die Erwachsenen reagieren auf unsere Hautfarbe, wenn auch nicht so offensichtlich, wie die Kinder. Sei es, dass man auf dem Markt und bei den Boda-Fahrten Mzungu- Preise genannt bekommt, sei es, dass einem ganz besondere Gastfreundschaft erwiesen wird, sei es, dass einem jegliche körperliche Arbeit versucht wird, abzunehmen... (Aber da haben wir uns hier schon durchgesetzt: Waschen (natürlich von Hand), unser Geschirr abspülen und unsere Räume sauber halten können wir schließlich auch selber.) Was einen anfangs amüsiert und später vielleicht auch mal verärgert, kann man mit der Zeit sehr gut nachvollziehen. Natürlich habe die allermeisten Menschen hier schon öfters Leute mit hellerer Hautfarbe gesehen. Aber ich habe mich selbst schon öfters dabei ertappt, wie ich wahrlich erschrocken bin, wenn mir plötzlich jemand Weißes entgegenkam! Ebenso auffällig wie meine Hautfarbe sind hier meine Haare. Denn solange sie in die Schule gehen haben alle Kinder und Jugendlichen und die Männer auch danach noch ganz kurz geschorene Haare. Die Frauen haben oft aufwändige Frisuren, was mich erst sehr beeindruckte – bis ich herausfand, dass es nicht ihre echten sondern Plastikhaare sind! Denn ihre natürlichen Haare wachsen nicht sehr lang. Deshalb sind meine Haare, besonders, wenn ich sie offen habe, immer eine große Sensation, jeder fängt an, schamlos darüber zu streicheln und an ihnen zu ziehen.

Ganz gegen meine Erwartungen kann man hier sehr gut feiern gehen! Ich war jetzt schon zweimal im Ambiance, dem vermutlich krassesten Club, in dem ich je gewesen bin, vor allem im Vergleich zu den sonstigen Lebensverhältnissen. Mitten zwischen all der Einfachheit, der Armut, dem Staub, der Natur steht dieser herausgeputzte Kasten. Aber es ist ziemlich toll da, die afrikanische Musik ist der Hammer – und vor allem die Menschen, die tanzen so unglaublich gut! Da kommt man sich als Europäer richtig ungelenk vor, aber es macht trotzdem total Spaß.

Neben der für mich neuen Sprache Luganda ist auch das Englisch der Menschen hier ziemlich anders. Am Anfang musste ich bei jedem zweiten Satz noch einmal nachfragen, aber inzwischen habe ich mich daran gewöhnt. Besonders gefällt mir die Verniedlichungsform der Menschen hier: es wird einfach in „i“ an das Wort gehängt. Und das nicht nur von oder bei Kindern, sondern auch bei ganz ernsten, trockenen Themen. Mein Lieblingswort ist da eindeutig „family businessi“, das klingt einfach nur (besonders aus dem Mund eines Lehrers) total witzig!

Ein paar Mal waren wir mit den Mädchen beim Wasserholen. Dazu sind wir ein Stückchen in ein kleines, wunderschön verwunschenes Tal gegangen, wo es eine Wasserpumpe gibt. Auf dem Weg dorthin kamen wir an ein paar Häusern vorbei – und liefen prompt Christine über den Weg. Sie ist die älteste (11 Jahre alt) von fünf Geschwistern und von einer ziemlich großen Schar kleiner Kinder, die dort wohnen. Sie bestürmten uns gleich alle und drängten uns dazu, mit ihnen zu spielen. Das taten wir auch ein paar Mal, es macht eigentlich echt Spaß, ist aber auch anstrengend, von so vielen Kindern auf einmal an der Hand gezerrt, in brüchigem Englisch vollgeredet und von so vielen erwartungsvollen Augen angestarrt zu werden.

Noch ein Wort zum Wetter: Es gefällt eigentlich ganz gut, richtig kalt ist es nicht, selbst nachts eher angenehm kühl, wenn man lange Sachen anzieht. Und es ist nie lange zu heiß, wenn die Sonne scheint, denn meistens kommt irgendwann ein wohltuender, teilweise heftigerer Wind auf. In den ersten Tagen, in denen ich hier war, hat es ein paar Mal kurz geregnet. Da hofften alle schon, die Regenzeit würde beginnen, aber seit dem ist es wieder total trocken und alle warten sehnlichst auf den Regen. Auch ich bin gespannt, wie das wird! Nicht nur vom Wetter her, ich freue mich auch auf all die Früchte, die dann reif sein werden! Neben Mango, Passionfruit, Ananas und Melone gibt es hier ziemlich viele Früchte, die ich noch nie davor gesehen habe, wie Jakfruit, Jambula und noch viele, von denen ich mir die Namen nicht mal merken kann!

Soweit erst mal als kleinen Einblick in mein Leben hier. Es ist leider ziemlich durcheinander und wirr geworden, aber das passt vielleicht gerade ganz gut zu meiner Situation. Auch für mich ist alles, obwohl es sich inzwischen ganz natürlich anfühlt, noch so neu, ständig stürzen neue Eindrücke auf mich ein, überall, wo man hinkommt, erlebt man die verrücktesten, schönsten und erstaunlichsten Dinge!

Eure (Leo)Nora

P.S.: Ich stelle mich hier nur noch mit Nora vor, denn Leonora ist zu lang, das kann sich kaum einer merken und Leo können sie irgendwie nicht aussprechen!

BERICHT VOM 16.10.2013

Und schon sind wieder drei wundervolle Wochen vergangen, von denen es so viel zu erzählen gäbe! Diesmal berichte ich euch aber hauptsächlich von zwei Erlebnissen: Eins aus dem Transi und von unserem Kampalatrip.

Im September sind Alisa, Jessi, Pauline und ich ein Wochenende nach Kampala gefahren. Schon die Hinfahrt mit dem Matatu war ein Erlebnis. Wir kamen uns wie die Obertouris vor, wie wir mit Rucksack, Jeans und Wanderschuhen (da es in der Nacht geregnet hatte und die Straßen extrem matschig waren) als vier Weiße durch Nyendo marschierten. Aber wir fanden schnell eines dieser Minibusgroßen Sammeltaxen, das nach Kampala fuhr. Allerdings mussten wir eine gefühlte Ewigkeit in dem stickigen Auto warten, bis das Matatu rappel voll war und wir unsere Fahrt starten und den angenehmen Fahrtwind genießen konnten. Die Fahrt an sich war eigentlich ganz angenehm, allerdings von ständigen Stopps unterbrochen, um Leute am Straßenrand rauszulassen (wer raus will, schreit einfach, dann wird auch mitten im Nichts angehalten) und neue Fahrgäste einzuladen. Dass wir uns Kampala näherten, merkte man vor allem daran, dass der Verkehr immer dichter, bunter und chaotischer wurde. Das ganze fand seinen Höhepunkt, als wir uns mit einem Mal auf einem Matatusammel- bzw. umsteigeplatz wiederfanden. Ein riesiger Matschplatz, die weiß-blauen Autos stehen dicht an dicht gedrängt, gerade genügend Platz dazwischen, damit Menschen sich hindurchquetschen, ein- und aussteigen können. Was für ein Geschrei, Gewusel und Gehupe! Wir waren froh, als wir diesen Ort in unserem Matatu ohne umsteigen zu müssen wieder verließen. Wir wussten nicht genau, ob es eine definierte Endstation gab, machten uns schon Gedanken, wie wir von dortaus zu unserem Hostel gelangen sollten oder ob wir einfach irgendwo rausgeschmissen würden – da erblickten wir zu unserer linken Seite mit einem Mal ein Schild zu unserem idyllischen „Backpacker Hostel“ und fingen hektisch zu schreien und gestikulieren an und tatsächlich gelang es uns, den Fahrer zum Anhalten zu bewegen.

Nach einer kurzen Pause im Hostel, das uns wie eine Oase vorkam und wo wir unsere für ugandische Sammelunterkünfte (seien es Schulen oder eben einfach Hostels) charakteristischen Stockbetten in einem 14er Zimmer bezogen, machten wir uns zu Fuß auf Richtung Zentrum. Über Hügel, an einer vielbefahrenen, von zahllosen Shops, Bars und Ständen gesäumten Straße entlang ringen wir in die Innenstadt. Was für eine Stadt! Die Hauptstraße verstopft mit Matatus, die Seite an Seite oder Stoßstange an Stoßstange kuscheln, sich wie eine zähe Masse fortzubewegen scheinen, zwischen drin nur immer mal wieder Bodas, Taxen oder Fußgänger, die sich in todesmutiger Hektik zwischen den Matatus hindurchschlängeln. An den Straßen mehrstöckige Gebäude, die vollgestopft und vollgehängt sind mit Klamotten, Haushaltwaren, Nahrungsmitteln und allerlei Ramsch – man hat den Eindruck, dass es immer die gleichen drei Warenkollektionen sind, die immer und immer wieder angeboten werden. Aber damit nicht genug, auch auf den Gehwege, die es tatsächlich gibt, die aber durchsetzt sind mit tiefen Löchern (der Ansatz einer Kanalisation??), Stolpersteinen und anderen Hindernissen, drängen sich Straßenhändler an Straßenhändler und verkaufen alles von Limetten bis zu Medikamenten. Man weiß gar nicht, wo man hingucken soll – es gibt so viel zu sehen, aber man muss auch auf den Boden schauen, um nicht in einem der Löcher zu landen, nach vorne gucken, um sich seinen Weg durch die Menge zu schlängeln und um sich herum aufpassen, dass man von nirgendwo überrannt oder überfahren wird – ziemlich anstrengend und faszinierend zugleich!

Irgendwann halten wir es nicht mehr aus, das Chaos, den Lärm, den Gestank (wenn Nicht-Atmen nicht so verhängnisvoll wäre, müsste man das hier zu seiner eigenen Gesundheit eigentlich tun), die Hitze, all die Menschen und Blicke, die wir natürlich auf uns ziehen, und wagen uns auf ein Boda. Wir sind aufrichtig erleichtert, als wir nach ça. 15 Minuten wohlbehalten am Garden City Shopping Center eintreffen. Schon auf den ersten Blick sehen wir, dass wir uns in einer völlig anderen Welt befinden. In dieser Gegend stehen Häuser, wie wir sie noch nie zuvor in Uganda gesehen haben und allein der Parkplatz des Shopping Centers weist darauf hin, dass wir uns in der Welt der Oberschicht befinden. Nach der Innenstadt kommt uns diese Mall wie eine Oase vor – es ist kühl, ruhig, überschaubar und beim ersten Anblick der Läden hat man das Gefühl, ein bisschen heimatliche Atmosphäre schnuppern zu können. Aber es stellt sich heraus, dass das Warenangebot hier ein seltsamer Mix aus Luxugütern und Fakeartikeln ist. Aber als wir den Supermarkt betreten, fällt uns die Kinnlade herunter. So stellen wir uns das Gefühl vor, das ein DDR-Flüchtling haben musste, wenn es einen Supermarkt westlich der Grenze betrat. Denn hier gibt es nicht nur das immer gleiche Sortiment aller kleinen ugandischen Supermärkte (Auswahl bei den verschiedenen Produkten ist meist eine Fehlanzeige), sondern ein riesiges Angebot – und sogar solche Sachen wie Käse! Wir kommen aus dem Staunen nicht mehr raus, bis uns klar wird, dass das trotzdem kein Vergleich zu einem Supermarkt in Deutschland ist.

Mittags lassen wir uns mit der reichlichen Auswahl des „Food Court“ konfrontieren, wo wir erstmal eine Ewigkeit verbringen, bis wir uns entscheiden können. Ich kann nur sagen, dass mir das Essen im Transi und wo ich sonst mal bin immer richtig gut schmeckt, es ist auch abwechslungsreich und eigentlich vermisse ich gar nichts. Aber als ich hier ein lecker gewürztes, indisches Essen und später im Hostel einen richtigen Salat mit Parmesan vor mir stehen sah, lief mir schon ganz schön das Wasser im Mund zusammen und ich genoss jeden Bissen.

An diesem Abend machten wir uns nach dem Abendessen und einer brüllend heißen Dusche (kälter ging aus irgendeinem Grund nicht... Sonst gibt es überall nur kaltes Wasser und wenn es hier im Transi doch mal warm ist, nämlich wenn den ganzen Tag die Sonne auf den Tank geschienen hat, finde ich es meisten richtig eklig, so sehr hab ich mich an das wohltuend kalte Wasser gewöhnt) auf die Suche nach den Feiermöglichkeiten Kampalas. Allerdings lag unser Hostel zu weit außerhalb, als dass wir nochmal bis in die Innenstad laufen wollten und nachts trauten wir uns dann doch nicht aufs Boda. So landeten wir in Maggie's Bar – ein ugandisches Steinhaus, innen modern verkleidet mit zeltähnlichem Vorbau – , wo wir uns sogleich in der Gesellschaft von Tony wiederfanden. Zuerst hielten wir ihn auch für einen der vielen ugandischen Männer, die hier versucht hatten, sich uns auf ziemlich billige Art und Weise zu nähern. Aber es stellte sich heraus, dass er äußerst freundlich, vernünftig und diskussionsfreudig war.

Am nächsten morgen regnete es in Strömen. Eigentlich sehr angenehm, denn die Straßen waren im Vergleich zum Vortag wie leergefegt und die wenigen Autos und Matatus, die doch fuhren, fuhren so vorsichtig wie sonst nie. Außerdem waren wir nach deutscher Gewohnheit natürlich bestens mit Regenjacke, Jeans und festen Schuhen ausgestattet, so dass wir einen gemütlichen Regenspaziergang genießen konnten. Nachdem wir ein bisschen umher geschlendert waren, hörte der Regen auf und schlagartig explodierte die Verkehrsdichte wieder. Auch wir wagten uns noch einmal aufs Boda, denn die Straßen waren binnen weniger Minuten trocken, und ließen uns zum National Theatre fahren. Dort konnten wir nicht nur einen wunderschönen Handwerker- und Künstlermarkt besichtigen, sondern auch einer beeindruckenden Probe für eine Tanz-, Trommel- und Singperformance beiwohnen.

Die Rückfahrt nach Masaka entpuppte sich als ein wahres Abenteuer. Als wir uns in voller Montur vom Hostel aus auf den Weg machten, gabelte uns auch bald ein Matatu auf, mit dem wir bis Natete (dem riesigen Umsteigeplatz) mitfahren wollten. Wir fuhren und fuhren und irgendwann fingen wir an, uns über den für diese lange Strecke so niedrigen Preis zu wundern. Irgendwann fragten wir mal, wie weit es denn noch bis Natete sei – und sofort richteten sich etliche Paar entsetzter brauner Augen auf uns. Wir waren schon längst daran vorbei! Wir waren fest davon ausgegangen, dass jedes Matatu dort vorbeifahren würde und hatten uns nicht groß um einen „Stopp“-Schrei bemüht. Ein Ausbruch mittelgroßer Panik unsererseits und heftiges Diskutieren von Seiten unserer ugandischen Mitfahrer folgte. Nachdem sie sich geeinigt und uns beruhigt hatten, fragten sie bei jedem Stopp die vorbeifahrenden oder herumstehenden Matatus, ob nicht eines von ihnen nach Masaka führe. Zu unserer Erleichterung fanden sie auch eins und nach einer etwa zweistündigen Fahrt kamen wir in Nyendo am Fuß des Hügels, auf dem wir wohnen, an.

Welche Idylle! Selbst Nyendo, ein eigentlich sehr chaotischer, recht armer, schmutziger, voller, bunter Stadtteil Masakas war uns beim Hindurchfahren angenehm entspannt vorgekommen. Und als wir jetzt den Hügel hinaufliefen, in der angenehmen Abendluft bei einem wunderschönen Sonnenuntergang, nur wenige Fahrzeuge in geregeltem Tempo und Fahrstil an uns vorbeifuhren, die Besucher der sonntäglichen Abendmesse uns entgegenkamen – wir kamen uns vor wie im Paradies.

Dieser Eindruck sagt eigentlich schon alles über Kampala aus. Eine Wahsinnsstadt, beeindruckend, faszinierend – aber eben auch zerstörerisch, wie jemand es mal formulierte. Auf jeden Fall waren wir nach diesen zwei Tagen total geschafft, von Eindrücken überwältigt und froh, wieder zuhause zu sein. Unter der Woche hatte ich den letzten Monat nochmal Gelegenheit, neue Bereiche bei MADDO und andere Bildungseinrichtungen kennenzulernen. So fuhren Alisa und ich z.B. endlich mal mit dem Education dept. mit, die regelmäßig Schulen inspizieren. Einige Punkte und Fragen kamen uns zwar seltsam vor (hängt ein Bild des Präsidenten und des Bischofs? Wie viele Pokale haben die Sportmannschaften in den letzten Jahren gewonnen? Gibt es genügend Bibeln und Korane? Wird auch täglich gebetet?), aber im Prinzip wurde geschaut, ob elementare Dinge wie genügend Lehrer, Toiletten und Schulbücher vorhanden sind, wie die Schule mit HIV-Fällen umgeht, welche Noten die Schüler bei den Arbeiten erzielen, ob auf religiöse Minderheiten Rücksicht genommen wird. Auch mit dem Agriculture dept. hatten wir noch einen interessanten Ausflug. Es war ein praktisches Training über die richtige Bebauung einer Bananenplantage. Aber anstatt, wie wir es erwarteten, Bananenstauden zu pflanzen, wohnten wir einem regelrechten Banenenpflanzenmassaker bei. Hermann (dieser Name klingt englisch ausgesprochen einfach total cool) stellte nämlich fest, dass die Beispielplantage, die sie ausgesucht hatten, viel zu dich bepflanzt war und dass außerdem viele Bäume von Krankheiten oder Parasiten befallen waren. Ein Schlag mit der Machete, ein kräftiger Stoß oder eine Hebelbewegung mit einem Spaten in der Erde genügten – und die Pflanzen kippten um. Auf dem Boden liegend wurden sie dann noch in kleine Stücke zerhackt, um die Ausbreitung des Ungeziefers zu verhindern. Am Ende war aus dem dichten, schattigen Bananenwald ein lichter Bananengarten geworden.

Zwei Tage verbrachten wir im Krankenhaus mit Sarah, einer britischen Ärztin, die im Kitovu Hospital das sog. „Baby Unit“ aufgebaut hatte. Sie kümmert sich um Neugeborene, die besondere Aufmerksamkeit brauchen. Gleich beim ersten Mal kam eine Krankenschwester hereingerannt, als Sarah uns gerade eine kleine Einführung geben wollte, und brachte ein vor einer halben Minute geborenes, halbtotes Baby herein. Sarah bezeichnete es sogar als fast ganz tot, denn abgesehen vom schwachen Herzschlag funktionierte nichts. Keine Atmung, es war ganz blau, keine Bewegung. Der Kleine brauchte mindestens eine halbe Stunde, bis er das Atmen selber übernahm. Langsam aber sicher kehrte das Leben in ihn zurück und zu unser aller Freude zeigte er sich als äußerst lebensfroh, strampelte und sträubte sich, wenn irgendwelche Untersuchungen durchgeführt werden sollten. In der nächsten Woche allerdings erfuhren wir, dass ihm zwar stetig besser gegangen sei, die Mutter aber eines Morgens einfach mit ihm verschwunden war...

Seit letzter Woche helfen wir jetzt auch ab und zu beim Deutschunterricht in der nahegelegenen Archbishop School mit. Wir gehen in die dreigeteilte S1 Klasse (erste Klasse der Secondary School) mit, wo jeder Teil trotzdem noch aus ca. 70 12-15 jährigen Jungs und Mädchen besteht. Es macht richtig Spaß, ihnen beim Sätzebilden zu helfen, sie sind total interessiert – allerdings nicht nur an der deutschen Grammatik, sondern auch an unserem Facebook Namen, unserer Unterschrift und dem Leben in Deutschland. Einmal sind wir auch mit dem Geschichtslehrer in eine Stunde der Abschlussklasse mitgegangen. Es war richtig interessant, was er erzählte: es ging um den Kampf, den Idi Amin gegen die in Uganda lebenden Inder führte.

Außerdem bin ich letzte Woche einmal in den Kindergarten gegangen. Total süß, die Kleinen, aber auch ziemlich anstrengend. Das liegt aber nicht an den Kindern, sondern an der Unterrichtsführung. Unterrichten bedeutet hier nämlich, dass der Lehrer etwas vorsagt, was die Kinder laut schreiend wiederholen müssen, meist mehrmals. Besonders schön war es aber, am Nachmittag alle nach Hause zu bringen. 40 Kinder werden in ein privates Matatu gequetscht – ich auf dem Beifahrersitz, mit fünf Kindern auf dem Schoß – und in die umliegenden Dörfer/Stadtteile von Masaka gefahren, jedes quasi bis vor die Haustür.

Inzwischen habe ich den Eindruck, die Gegend um Masaka wird von einer Invasion von Deutschen, v.a. Stuttgartern, befallen. Ständig hören wir von anderen Deutschen – meist aus der Gegend um Stuttgart – die sich hier irgendwo für eine Weile eingenistet haben. Jessi und Pauline, die Anfang September ankamen und dann erstmal einen Monat hier im Transi bei uns gewohnt haben, sind inzwischen in dem Dorf angekommen, wo sie eigentlich geplant hatten, hinzugehen. Aber schon wenige Tage, nachdem sie das Transi verlassen hatten, zogen zwei neue Mädels hier ein, Eva-Maria und Rebecca. Wir sind nun also wieder zu viert – aber inzwischen haben wir uns ganz gut daran gewöhnt, wir verstehen uns gut und es ist auch wirklich super nett so. Dann gibt es noch Benedikt und Jonas, beide in einem Dorf jeweils etwa eine halbe Stunde von hier entfernt. Bene hab ich irgendwann mal ganz zufällig getroffen, als ich mit Kitovu Mobile unterwegs war. Plötzlich hörte ich eine Stimme hinter mir und er sagte, er wäre geholt worden, um den anderen Mzungu zu begrüßen. Und Jonas kreuzte auch irgendwann mal einfach hier auf, als er das Transi besuchte und lud uns alle direkt zu einer Abschlussfeier der Abschlussklasse in der Schule ein, in der er momentan wohnt. Wir waren also insgesamt acht Deutsche, die sich dort trafen. Als wir einen Spaziergang durch den Ort Butende machten – ein paar Häuser und Shops entlang der Kampala-Road (die Straße, die von Masaka nach Kampala führt) – kamen wir uns vor wie eine verirrte Reisetruppe... Und das sind auch noch nicht mal alle Deutschen, die es hier gibt, immer wieder bekommen wir mit, dass noch irgendwo jemand ist oder bald jemand hinkommt. Es ist ja im Prinzip auch total nett, sich auszutauschen, zu besuchen und etwas miteinander zu unternehmen. Aber allmählich sind wir hier genug Deutsche, es wäre schade, wenn noch mehr an den gleichen Ort kämen, da man dann doch immer weniger mit den Menschen von hier in Kontakt kommt.

Der Tag im Transi, von dem ich berichten wollte, fing richtig gut an: Grace, die Kochlehrerin, gab uns eine Stunde in traditionellem Kochen! Also erstmal ab auf die Bananenplantage. Denn zum Kochen wird so ungefähr alles von der Pflanze verwendet, nur der Stamm nicht. Die Matoke (Kochbananen) wird gegessen. Gekocht wird sie in den älteren Bananenblättern, die am Rand schon ein bisschen brüchig, ausgefranst sind. Die noch frischen, ganz heilen Blätter werden genutzt, um die Soße darin zu kochen. Um diese Blätter ganz weich zu bekommen, damit sie auch nicht brechen und man die Soße gut hineingießen kann, werden sie kurz auf brennende, getrocknete Bananenblätter gelegt und darin gewendet. Man muss aber wirklich aufpassen, dass man sie nicht zu lange darin lässt, denn sonst verkokeln sie, anstatt ganz weich und geschmeidig zu werden. Die festen Stile wurden zuvor von den großen Blättern entfernt und auch längs des Blattes wird der Fortsatz des Stils/die Mittelader ein wenig abgeschnitten, damit sich die Blätter gut biegen lassen. Wenn die Banenen geschält sind, werden sie mit den Bananenblättern eingepackt und mit Rindenfasern zugeknotet. Für die Soße (Erdnusssoße, diesmal sogar mit Zwiebeln, Tomaten, Pilzen und Curry!) werden mehrere Schichten Blätter übereinander gelegt, schalenförmig gehalten und dann, sobald die Soße darin ist, oben zusammengerafft und mit den Fasern des Stils zugebunden. Zu diesem Zeitpunkt sieht der Küchentisch aus wie ein Geschenketisch, auf dem mehrere hübsche Bananenpäckchen angeordnet sind. Sie werden jetzt übereinander in einem Topf gestapelt, der unten mit den Stilen der Blätter ausgelegt und mit Wasser aufgefüllt ist, damit nichts anbrennt. Dann werden sie mit weiteren Blättern abgedeckt und festgesteckt. Das Ganze wird dann etwa anderthalb Stunden auf dem Feuer gekocht. Zum Essen waren wir dann zu sechst: Wir vier, die jetzt gerade hier wohnen (Alisa, Eva, Rebecca und ich) und Jessi und Pauline, die zu Besuch waren.

Als wir mit dem Mittagessen fertig waren, ging ich auf die Toilette, die in einer Art Bad liegt. Davor ist noch ein kleinerer Raum, in dem auf zwei Tischen die Trommeln und Baströcke, die sie Tanzen anziehen, aufbewahrt werden. Auf dem Rückweg wurde ich stutzig, als mein Blick auf ein kleines Gläschen und eine Plastikverpackung viel – ein Schwangerschaftstest. Positiv. Mit sich überstürzenden Gedanken und Überlegungen stürmte ich zurück ins Esszimmer, wo die anderen noch saßen, und machte hektisch die Tür zu, die sonst immer offen steht. Bilder von Beobachtungen von diesem Vormittag schwirrten uns durch den Kopf, schnell kombinierten wir, was uns ungewöhnliches aufgefallen war, ohne, dass wir weiter darüber nachgedacht hätten. Bei Elisabeth/Matron (die Aufsichtsperson und Transi-Mutter) im Zimmer hatten seit diesem Morgen eines der Mädels, als einzige von allen an diesem Samstag in Schuluniform (grün-weiß), eine Frau in Gomaz (der traditionellen Kleidung hier) und eine weitere Frau gesessen. Das Boda, das die Frau in Gomaz früh hergebracht hatte, hatte danach eine ganze Weile am Tor gewartet, bis es schließlich mit einer Matratze und einer der blauen Kisten, in denen alle Schüler eines Internats ihre Sachen aufbewahren, aufgeschnallt wieder davon fuhr. Vor dem Mittagessen hatte eine der anderen Elisabeth mit der anderen Frau und dem Mädel im Bad gesehen – und das Mädel war in der Toilette verschwunden, wo die Mädels hier sonst nie hingehen (dürfen). Kaum hatten wir diese Entdeckung verdaut, kamen das Mädchen und die Frau in Gomaz aus dem Nebenzimmer heraus und verließen das Transi. Sie gingen einfach, Mutter und Tochter. Wir stürmten alle auf die Veranda und sahen ihnen sprachlos nach, bis sie den Hügel hinauf verschwunden waren.

Schockiert, ganz perplex gingen wir langsam zurück ins Esszimmer. Konnte das sein? War das Mädchen einfach weggeschickt worden, weil sie schwanger war? Einfach so, sang und klanglos, ohne sich verabschieden zu dürfen? Was würde aus ihr werden? Wie würde ihre Familie damit umgehen? Wussten sie es erst seit heute morgen? Konnte es wann anders als in den Ferien passiert sein – aber die waren schon zweieinhalb Monate her!? Eine ganze Weile saßen wir da und stellten derartige Überlegungen an, versuchten, das alles nachzuvollziehen. Dann hielten wir es nicht mehr aus und gingen nach draußen auf die Veranda, wo ein paar von unseren Freundinnen von hier standen. Viel gaben sie nicht preis, sie schienen nicht darüber sprechen zu wollen. Aber wir konnten herausfinden, dass das Mädchen nicht wieder hierher kommen dürfte, dass sie auch nicht wussten, ob es immerhin einen festen Freund gab und dass sie alle wussten, dass eine Schwangerschaft diese Konsequenz haben würde. Später, als wir mit Naster (das außergewöhnlichste Mädchen, das mir hier je begegnet ist) alleine waren, sprachen wir sie nochmal darauf an. Sie schien unseren Schock ein bisschen nachvollziehen zu können. Und sie erzählte uns, dass sie alle vor drei Tagen, ganz früh morgens, einen Schwangerschaftstest hatten machen müssen. Einfach auf Verdacht.

Dieses Erlebnis ließ uns den ganzen Tag (der übrigens noch wunderschön war, da Joseph uns mit zu seiner Mutter und zu sich nach Hause nahm – beide wunderschön mitten in der Landschaft gelegen!) nicht mehr los, wir konnten es einfach nicht fassen. Aus dem, was wir die letzten Wochen hier beobachtet und mitbekommen haben, lassen sich schon einige Methoden, Regeln und Inhalte hier in Frage stellen. Und trotzdem bietet das Transi den Mädels eindeutig eine bessere Voraussetzung für ihre Zukunft als gar kein Abschluss, keine fertige Ausbildung, ein Abbruch der Kontakte, die sich ihnen von hier aus eröffnen. Und die Mädels sind ja nicht umsonst hier – wer weiß, aus was für einer familiären Situation sie kommt. Gerade jetzt bräuchte sie die Hilfe, die sie hier kriegen könnte, mehr denn je. Und wie die Glaubenseinstellung, die hier verbreitet ist, und die Einstellung zu Liebe und Beziehung zusammen passen, haben wir auch noch nicht ganz verstanden. Einfach widersprüchlich. Ebenso die offiziellen Regeln über Beziehungen (Schülern ist es bei Strafe verboten, während der Schulzeit eine Beziehung zu haben und in vielen Schulen stehen Schilder herum wie „True Love Club – No Sex before Marriage“) und die inoffizielle Einstellung, die eigentlich alle Ugander dennoch demgegenüber haben. Wie auch immer, für uns war es jedenfalls ein ziemlich Schock, wie mit der Schwangerschaft von diesem Mädchen umgegangen wurde. Wir werden auf jeden Fall versuchen, mal mit ein paar Leuten, von denen wir das Gefühl haben, sie könnten uns ein wenig verstehen, aber auch ihren Standpunkt erklären, darüber zu reden. Vielleicht klärt sich dann ja noch einiges. Ein bisschen konnten wir zum Beispiel schon von Ben, unserem Mentor, herausfinden. Es liegt wohl offenbar hauptsächlich im Ermessen der Eltern, was in so einem Fall geschieht. Offenbar war es die Entscheidung ihrer Familie, dass sie so direkt gehen musste und nicht mal bis zu den Prüfungen nächste Woche hier bleiben durfte. Aber er vermutet auch, dass die Schule diese Entscheidung unterstützt hat, um den anderen vor Augen zu führen, welche Konsequenzen eine Schwangerschaft wirklich haben kann. Ben hat uns aber auch versichert, dass das Mädchen auf jeden Fall weitere Ausbildungschancen zugesichert bekommen kann, wenn ihre Familie dem zustimmt, nur hier wird sie wahrscheinlich nicht mehr herkommen können. Man kann nur das Beste für sie und ihr Kind hoffen.

Jetzt muss ich aber doch noch von etwas anderem berichten, etwas Schönes zum Abschluss. Auf der oben erwähnten Fahrt zu Josephs Eltern kamen wir durch ein Dorf, das anders war als alle anderen. Als erstes fiel uns ein kunstvoll gearbeitetes Schild auf: „Ndegeya Akili Art Center“. Dann stellten wir fest, dass viele Häuserfassaden bunt angemalt waren, auf einigen Vorplätzen Holzskulpturen standen und es sogar einen richtigen Dorfplatz mit einem großen Standbild gab. Wir waren begeistert, besonders als wir uns eine der Graffity-artigen Wandmalereien genauer anschauten und sogar ein Strickpullover darin eingearbeitet war. Das Dorf war uns so sympathisch, dass wir in aller Ruhe hindurchschlenderten. Allerdings fragten wir uns, wie man hier, mitten im Nichts, total abgeschieden, Künstler wird. Und ob man davon leben kann, oder ob er es als Hobby macht. Das muss ein ziemlich interessanter Mensch sein, den wir bewundern, ohne ihn kennengelernt zu haben.

Allerliebste Grüße, 

Nora Nakato Nabbada Nalubega

Und zum Abschluss noch – das darf ja nicht mehr fehlen – und P.S. zu meinem Namen: Als Alisa und ich neulich mal wieder unsere Freundin Jane, die beim Bischof arbeitet, besuchten, begegneten wir auch wieder Father Amadeus. Als er uns sah, beide dunkelhaarig, etwa gleich groß, dann noch mit unseren gleichen selbstgenähten Taschen begrüßte er uns mit „Ah, the Kitovu Twins are back!“ Kitovu ist der Stadtteil, in dem wir wohnen. Man hat den Eindruck, Zwillinge kommen hier viel öfter vor, als bei uns. Der Musiklehrer beispielsweise ist eines von 13 Kindern – sechs Zwillingspaare und ein einzelnes Kind, einfach unglaublich! Aber Zwillingen werden hier eine besondere Bedeutung beigemessen, sie bekommen besondere Namen: der ältere Zwilling bei Jungs heißt Wasswa, der Jüngere Kato, bei Mädchen sind das Babirye und Nakato. Auch der Vater und der Bruder von Zwillingen bekommt einen Namenszusatz. Auch der Bischof ist so ein Bruder und heißt deshalb Kaggwa. Ich bin zwar älter als Alisa, aber Father Amadeus hat sie trotzdem als Babirye auserkoren, da sie schon länger in Uganda ist.

BERICHT VOM 22.11.2013

Drei Monate. Eine Zeit, in der viel passieren kann. Eine Zeit, in der sich ein Mensch neu entdecken kann. Eine Zeit, in der sich etwas völlig Unbekanntes auftun, eine ganz neue Welt entfalten kann. Zeit für Entdeckungen, Abenteuer, Verwirrungen, Erfolge und Überraschungen. Eine Zeit, die verstreicht, als würde sie von einer sanften Welle davongespült, es genügt ein lauer Windhauch, um sie davonzuwehen. Sie verschwindet wie die Sonne hinterm Äquator – so schnell, dass man jedes Mal wieder überrascht ist, und doch so wunderschön, so warm und lebendig, dass die wenigen Augenblicke des Sonnenuntergangs einen erfüllen und die Zeit für diese kurze Dauer ganz beglückt den Atem anhalten lassen.

Drei Monate sind nun schon vergangen, seit ich meine erste Heimat verlassen und in Uganda eine neue Heimat gefunden habe. Drei Monate, in denen so viel und doch auch so wenig passiert ist, denn sie vergingen wirklich wie im Flug.

Immer wieder werde ich gefragt, ob ich denn inzwischen eine feste Arbeitsstelle gefunden habe. Das muss ich immer noch verneinen. Zwar gab es in den letzten paar Wochen durchaus einige regelmäßige Programmpunkte, aber auch dann kommt öfters etwas dazwischen oder wird spontan verschoben. Außerdem waren es immer Unterrichtsstunden an Schulen – und kaum hatte ich da ein bisschen meinen Platz gefunden, beginnen jetzt Anfang Dezember auch schon wieder die Ferien. Sie dauern zwei Monate, da danach das nächste Schuljahr beginnt und dann auch wieder alles anders wird.

Schon seit Ende September war ich mit Alisa zusammen regelmäßig beim Deutschunterricht der Archbishop Secondary School. Wir haben nur geholfen, nicht dauerhaft selber unterrichtet. Aber es hat mir Spaß gemacht, wenn es mit 70 bis 80 pubertären Jugendlichen in einer Klasse doch auch recht anstrengend ist. Dafür sprechen sie alle ziemlich gut Englisch, was das Ganze wiederum erleichtert, und waren größtenteils auch sehr wissbegierig, von uns Deutschen direkt etwas zu lernen. Besonders, wenn dies per Briefchen-Schreiben geschah. Die Klasse, in der wir waren, war die Senior 1 (S1), die erste Klasse auf der Secondary School. Sie war wiederum in drei Züge geteilt, so dass wir Montags Vormittags und Dienstags Nachmittags dabei sein konnten. Wenn die Schule im Februar wieder losgeht, werde ich auf jeden Fall versuchen, wieder in dieser Klasse beim Deutschunterricht mitzuhelfen! Hoffentlich erinnere ich mich bis dahin wenigstens an ein paar Gesichter...

Eva und ich haben die letzten Freitage immer einen Nachmittag im St. Adrian Kindergarten verbracht. Die Kinder haben sich immer riesig gefreut und am Ende hatten die meisten sogar verstanden, dass mein Name (hier) „Nora“ und nicht „Mzungu“ ist. Es hat Spaß gemacht, war aber auch äußerst anstrengend mit 28 Kleinkindern, die einen so gut wie nicht verstehen. Solange die Lehrerin dabei war (leider gerne auch mal mit einem Stock in der Hand) und übersetzen konnte, klappte alles ziemlich gut, die Kinder machten unsere Spiele richtig gut mit und alles lief einigermaßen geordnet ab. Letzten Freitag allerdings kamen die Lehrer auf die Idee, genau in unserer Stunde ein Meeting abzuhalten und überließen uns alleine der Horde Kinder, die alle gleichzeitig auf Luganda auf uns einredeten, herumrannten und nicht verstanden, was wir ihnen erklärten. Irgendwie gelang es uns, dass sich jeder an seinen Platz setzte und „Please be quiet and listen“ verstanden sie dann immerhin noch. Es lief dann alles doch nicht so chaotisch wie erwartet ab, die Kinder verhielten sich einfach wie ganz normale Kleinkinder, denen keine Autoritätsperson sondern ein besonderer Besuch gegenüber steht, den jeder einmal anfassen und bei sich haben möchte.

Nachdem es drei Monate lang niemand geschafft hat (obwohl verschiedene Leute es uns immer wieder versprochen haben) uns einmal zur Taubstummenschule in Kitengesa, etwa eine halbe Stunde entfernt, zu bringen, sind Alisa und ich da vor zwei Wochen einfach mal auf eigene Faust mit dem Boda hingefahren. Wir wurden sofort stürmisch begrüßt – wenn auch ungewohnt schweigsam. Etwa 80 taubstumme Schüler besuchen diese Schule, in der sie oft sowohl Taubstummensprache als auch geschriebene Sprache lernen. Binnen weniger Minuten hatten wir auch die wichtigsten Zeichen raus und sogar ein eigenes Zeichen für unseren Namen bekommen. Das bin ich jetzt: Daumen und Zeigefinger der rechten Hand zu einem „L“ geformt, und dann mit dem Daumen zweimal sacht gegen die Schläfe tippen. Die Kinder stammen oft aus sehr armen Familien, manche wurden auch ausgesetzt und für viele ist dies die erste Schule, die sie besuchen. Aber sie strahlen eine unwahrscheinliche Lebensfreude aus, stecken voller Energie und Neugierde. Das kommt sowohl beim Fußball, Volleyball, Frizbee und Diabolo spielen in ungeheurer Ausdauer und Geschicklichkeit, als auch bei den nicht seltenen Diskussionen und Streitereien zum Ausdruck. Oh ja, auch taubstumme Kinder streiten nicht weniger lebhaft als Kinder, die sprechen und hören können! In einem Klassenzimmer sind meist zwei Klassen – dann gibt es auf jeder Seite eine Tafel und es wird einfach in zwei unterschiedliche Richtungen unterrichtet. Das geht auch nur in einer Taubstummenschule!

Auch im Transitory machen wir ja Montags nachmittags immer eine Stunde, in der wir mit den Mädchen Sport, Spiele, Fotoshootings oder deutsch-ugandisches Backen (zu empfehlen: Papayakuchen oder Schoko-Bananenmuffins, die sie spontan in „german muffins with african flavour“ imbenannten) machen.

Dann gibt es noch das UCC (Uganda Child Care) Babyhome. Es liegt etwa 20 Minuten von hier entfernt und beherbergt derzeit etwa 18 Kleinkinder. Oft stecken schwere Schicksale und traurige Geschichten hinter den großen, strahlenden Augen und lachenden Gesichtern der Kleinen. Viele wurden ausgesetzt – ob am Straßenrand, vor einem Krankenhaus, bei der Polizei oder in einem verlassenen Haus. Manchmal kamen sie auch dorthin, weil ein Elternteil alleinerziehend ist und sich um eine ganze Schar Kinder kümmern muss. Im Babyhome nehmen sich sechs „Maamas“ dieser Kinder an, kümmern sich total süß um sie und versuchen auch, sie wieder in ihre eigenen oder Adoptionsfamilien einzugliedern. Die Kinder freuen sich immer riesig, wenn wir für ein paar Stunden vorbeischauen, mit ihnen spielen, lesen und toben.

Abgesehen von diesen einigermaßen regelmäßigen Programmpunkten (von denen ja jetzt wegen der Ferien das meiste leider fürs Erste wieder entfällt) gibt es weiterhin ab und zu Trips mit den unterschiedlichen Departments von MADDO und einige weitere Erlebnisse außerhalb der „Arbeitszeit“.

Anfang November war ich innerhalb von zwei Wochen auf drei Beerdigungen. Es ist niemand gestorben, den ich direkt kannte, immer waren es Verwandte von Bekannten, aber das war oft schon schlimm genug mit anzusehen. Zur ersten Beerdigung kamen wir über ziemlich wirre Verstrickungen, überhaupt war der ganze Tag von einer Reihe schräger Situationen geprägt. Ein Bekannter einer Freundin aus dem Transitory hat uns zu der Beerdigung seines 99-jährigen Großvaters eingeladen, obwohl wir weder ihn noch den Großvater wirklich kannten, ich hatte nur mal mit ihm telefoniert. Die zweite Beerdigung war die von Bens Bruder. Ben ist unser Betreuer hier, er hat in Deutschland studiert und ist selbst erst 33 Jahre alt. Sein Bruder war nur wenig älter und nach zwei Jahren seinem Krebs zum Opfer gefallen. Es war die schockierendste der Beerdigungen, da der Verstorbene noch so jung war, die Familie ohnehin schon von mehreren harten Schicksalsschlägen getroffen und Ben nun quasi für alle verbleibenden Verwandten aufkommen muss. Auf die dritte Beerdigung gingen wir mit einigen Mädels von hier, denn der (schon recht alte) Schwager von Imelda, der Schulleiterin, war gestorben. Im Prinzip laufen die Beerdigungen alle ähnlich ab. Trauermesse, die ziemlich lang aber dafür wesentlich lebhafter, hoffnungsvoller und weniger depressiv ist, als bei uns, Essen, Reden – alles am Haus des Verstorbenen bzw. von dessen Verwandten. Das Begräbnis selber findet dann auf der Bananenplantage hinter dem Haus statt. So kommt es nicht selten vor dass man, wenn man übers Land fährt, zwischen Bananenstauden einmal mehrere steinerne Kreuze hervorstechen sieht. So ist die Tradition und obwohl es in den größeren Städten inzwischen sogar Friedhöfe gibt, werden fast alle Menschen sozusagen im Garten begraben, wenn sie selbst in der Stadt wohnten, dann bei ihren Verwandten auf dem Land.

Noch ein paar Worte zum aktuellen Geschehen im Transitory: Diese Schule sieht eine zweijährige Ausbildung für die Mädchen vor. Am Ende des zweiten Jahres müssen sie alle ein dreimonatiges Praktikum machen, das ihnen oft schon den Einstieg in einen späteren Job ermöglicht.

Davor finden die Abschlussprüfungen statt. Das darf man sich aber nicht so vorstellen wie Prüfungen bei uns; zwar gibt es durchaus schriftliche Prüfungen, die eigentlich auch in Ruhe und Ordnung stattfinden sollen. Aber die Woche vor den Prüfungen waren die Schülerinnen aus der zweiten Klasse nochmal zuhause und es war auch gar kein Problem, als einige erst nach der Hälfte der Prüfungen wieder in die Schule kamen. Die konnten problemlos nachgeschrieben werden, auch abends im Zimmer oder in der Küche, während andere kochten. Die praktischen Prüfungen hingegen fielen für diejenigen einfach weg. Die anderen verbrachten darin ganze Vormittage oder gar Tage damit, zu putzen (Housekeeping), kochen (Catering), nähen, Taschen zu flechten... In die beiden Kochprüfungen wurden wir auch kurzerhand mit eingespannt: als Gäste. Ein Klassenzimmer wurde als Restaurant hergerichtet, wo sowohl wir als auch einige Lehrer das Menü von jeweils einer Kochgruppe genießen durften. Durchfallen kann man bei diesen Prüfungen so weit ich weiß nicht und die Ergebnisse erfahren sie auch erst nach dem Praktikum.

Anfang November sollte dieses Praktikum beginnen. Soviel wussten sie, mehr nicht. Es gab einen Zeitraum von drei Tagen, in dem sie von ihrem zukünftigen Arbeitgeber abgeholt werden sollten, aber wann genau und wohin sie gehen würden, wussten sie nicht. Wir waren schockiert ob dieser Ungewissheit und es stellte sich heraus, dass es auch für die meisten von ihnen schwer erträglich war. Immerhin würden sie an diesem Ort drei Monate wenn nicht mehrere Jahre verbringen! Es tat mir richtig weh zu sehen, wie sie, je näher ihre Abreise rückte, immer stiller und trauriger wurden. Schließlich kamen sie nicht nur an einen völlig neuen, unbekannten Ort, sondern ihnen wurden mit einem Mal auch alle ihre Freunde, mit denen sie zwei Jahre lang Tag und Nacht verbracht hatten, entrissen und sie haben ja quasi keine Möglichkeit, in Kontakt zu bleiben. Viele hatten richtig Angst – was im Nachhinein glaube ich doch eher unbegründet ist, in dem Moment aber sehr verständlich. Denn natürlich werden die Stellen, die für sie ausgewählt werden, sorgfältig abgeschaut und zugeteilt.

Von Montag bis Mittwoch, hieß es, würden sie abgeholt werden. Am Freitag davor waren wir, da Allerheiligen war, mit einigen Mädels in der Kirche (und amüsierten uns gerade köstlich hinter dem absoluten Partychor der Archbishop Secondary School!). Plötzlich winkte der Musiklehrer eine von ihnen raus, teilte ihr kurz etwas mit und sie kam mit versteinertem Gesicht zurück. Sie flüsterte mir nur ins Ohr, sie müsse schon heute gehen, kurz nach der Messe. Dann sang sie weiter, um sich abzulenken. Nach der Messe liefen wir alle ziemlich geknickt nach Hause. Kaum hatte sie den anderen die Neuigkeit mitgeteilt, brach Panik aus – und dann begann ein langer Nachmittag des Wartens. Jeden Moment könnte die Person kommen, die sie abholen sollte. Aber sie kam und kam nicht. Als es gegen halb sieben zu dämmern anfing, dachten alle, das Warten sei für heute vorbei und sie müsse doch erst am nächsten Tag gehen. Da kam ein Auto vorgefahren und sofort kursierte das Gerücht, sie müssen doch noch gehen. Wenige Minuten später fuhr das Auto wieder ab, ohne sie. Für die Mädels (und auch für uns) war das eine ziemlich strapazierende Gefühlsachterbahn, dieses ständige Rauf und Runter, das permanente Warten und die Ungewissheit waren unserer Ansicht nach unzumutbar.

Wir konnten den Abend aber noch retten: Transi-Kino! Schon am Tag zuvor hatten wir einen Film geschaut (Twilight, was nicht wir, sondern die Mädels ausgesucht hatten!) und jetzt schauten wir die nächsten beiden Teile. Von MADDO hatten wir einen Beamer ausgeliehen und die Filme in dem reinsten Piraterie-Laden (was hier aber vollkommen legal ist) gekauft. Mit weißen Betttüchern verwandelten wir die Tafel in eine Leinwand und zauberten mit selbstgemachten Chips und Popcorn sogar ein wenig echte Kinostimmung in das Klassenzimmer.

Aber zurück zu dem Praktikum: Die nächsten Tage waren geprägt von ständigem Verabschieden. Immer, wenn wir irgendwo hin gingen, mussten wir uns von allen verabschieden, da man ja nie wusste, wer noch da sein würde, wenn wir wiederkamen. Zu meiner großen Erleichterung gingen viele auch zu zweit, manche sogar zu dritt an eine Stelle. Allerdings waren bis Mittwoch immer noch nicht alle abgeholt, die letzten konnten erst am darauffolgenden Wochenende gehen.

Seit dem ist es hier nur noch halb so voll. Nachdem es am Anfang viel ruhiger war und die 2nd-years überall fehlten (ob in der Küche, abends beim gemütlichen Zusammensitzen, bei Begegnungen auf dem Gelände oder das fehlende Singen morgens unter meinem Fenster, wenn sie waschen und putzen), blühen die 1st-years doch allmählich auf. Und jetzt, wo die, die bisher immer über ihnen standen, weg sind, komme ich mit ihnen auch viel mehr in Kontakt! Aber trotzdem, die anderen fehlen mir.

Deshalb bin ich heilfroh, dass einige gar nicht so weit weg sind! Eine arbeitet jetzt beim Bischof, was zu Fuß nur 10 Minuten von hier entfernt ist. Ich habe sie auch schon öfters besucht. Ein Nachmittag dort war besonders amüsant: Naster und Jane (die schon seit langem dort arbeitet, auch vor einiger Zeit das Transi besucht hat und über die ich ja schon an meinem ersten Tag hier zum Bischof kam) kamen plötzlich, als wir beim Abwasch in der Küche zusammenstanden, auf die Idee, uns eine Weinprobe vorzuführen. Und aus allen Ecken kramten sie plötzlich die verschiedensten Weine hervor. Ananas-, Bananen-, Mangowein, Wein aus Uganda, aus Südafrika und Ägypten. Altarweine. Als wir uns irgendwann weigerten, weitere Schlückchen zu probieren, steckten sie uns kurzerhand eine halbleere Flasche in die Tasche: „for tomorrow“. Dann entbrannte eine Diskussion zwischen ihnen, ob wir denn nun schon den „richtigen“ Altarwein probiert hätten und da sie sich nicht sicher waren, nahmen sie uns kurzerhand mit in die Hauskirche des Bischofs, kruschtelten ein wenig unterm Altar herum und zauberten eine weitere Flasche hervor. So kam es, dass wir beiden Nichtkatholiken (Alisa und ich) mit den Angestellten des Bischofs (Naster und Jane) in der bischöflichen Privatkirche landeten und am heiligen Messwein nippten.

Das als kleine Zwischenanekdote. Zwei andere Mädels sind bei MADDO engagiert, wo sie für die dort lebenden Fathers arbeiten, so dass wir sie auch öfters mal sehen können. Drei besuchen ein Nähschule in der Nähe des Babyhomes, wo ich sie auch schon einmal auf dem Rückweg besucht habe! Zwei arbeiten in einem Restaurant am Lake Nabugabo, zwei in einer Schule (zum Nähen, Kochen, auf die Kinder aufpassen), eine auf einem Hof... Ich glaube, es sind wirklich alles Orte, wo es ihnen gut geht und wo man sich um sie kümmert!

Letzten Montag hatte Imelda (die Schulleiterin) einen Trip für uns organisiert. Um 10h starteten wir als die reinste Boda-Gang, da auch noch Grace (die Kochlehrerin) mitkam. Schon nach zwei Minuten verließen wir für den Rest des Tages die befestigten Straßen und das verhältnismäßig städtische Umfeld. Mehrere Stunden fuhren wir bei Sonnenschein und angenehmem Fahrtwind durch die wunderschöne Landschaft. Es dauerte so lange, weil wir immer wieder Zwischenstopps machten, wo sie uns etwas erklärten oder zeigten. So kamen wir beispielsweise zu zwei alten, heiligen Stätten, wo immer noch traditionelle Riten praktiziert werden. Beides waren Höhlen; die eine lag in einer Senke, die andere in einer Felswand mitten in einem dschungelartigen Wäldchen. Zu dieser mussten wir erstmal ein Stückchen über Stock und Stein, durch Gestrüpp und wundersame Pflanzen, unter Vogelgesang und Affengeschrei hinwandern. Gegen Mittag erreichten wir dann den (eigentlich gar nicht so weit entfernten) Lake Nabugabo. In einer ruhigen Bucht picknickten wir auf einer idyllischen, von Palmen umsäumten Wiese.

Die Regenzeit ist jetzt übrigens tatsächlich ausgebrochen. Es regnet oft nachts, auch tagsüber kommt es jetzt immer wieder zu heftigen Regenfällen. Die Straßen allerdings sind danach meist wirklich von ausgespülten Canyons, Matschbächen und Schlammpfützen durchzogen. Wenn es regnet, wird es auch verhältnismäßig kalt, so dass die meisten Ugander richtig zu frieren anfangen und wir uns auch (besonders abends) über dicke Socken und eine heiße Tasse Tee freuen. Wenn sie uns dann aber fragen, ob man sich so einen Winter in Deutschland vorstellen darf, können wir das doch schmunzelnd verneinen. Aber trotzdem vergeht selten ein Tag, an dem sich die Sonne gar nicht blicken lässt und alle nach der regnerischen Frische wieder aufwärmt.

Und noch eine kleine Bemerkung zum Schluss: Die Ugander hätten sich keine passendere Standard- Automarke aussuchen können, als Toyota. Deren Werbespruch Nichts ist unmöglich charakterisiert dieses Land ziemlich gut. Denn für diese Autos ist tatsächlich nichts unmöglich, sie bewältigen jede noch so enge, steile, von Schlaglöchern durchsetzte, von Regengüssen in einen Matschstrom verwandelte oder von Pflanzen überwucherte Straße. Aber nicht nur zu den Autos passt die Toyota Werbung hier, eigentlich beschreibt sie das ganze Land. So vieles, was mir schon längst nichts mehr auffällt, erscheint mir bei genauerem Überlegen vollkommen unvorstellbar, in Deutschland wäre so etwas einfach undenkbar, alle Sicherheitsalarmglocken würden bei uns aufschrillen oder man würde einfach nur ungläubig den Kopf schütteln. Aber hier wird es einfach gemacht, ohne lang zu fackeln. Und so gibt es sicher ein paar Unfälle mehr, aber oft bewirkt es einfach, dass die ganze Atmosphäre weniger versteift und gezwungen ist und man viel spontaner etwas unternehmen kann.

Ich schicke euch ganz viele warme Sonnenstrahlen in den hereinbrechenden Winter,

Nnamusa (viele Grüße),

Eure Leonora

P.S.: Das traditionelle „P.S.“ zu meinem Namen habe ich diesmal schon bei der Beschreibung der Taubstummenschule vorgeholt!